Beschlussvorschlag 26/01 UN-BRK

Gemeinsam für Selbstbestimmung und Teilhabe – Maßnahmenvorschläge behinderter Menschen für den Landesaktionsplan 2021

Beschlussvorschlag des Arbeitskreises Bremer Protest

Die Bürgerschaft behinderter Menschen stellt fest:

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen zielt auf die volle wirksame gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe behinderter Menschen ab. Mit Artikel 19 der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) erkennen alle Unterzeichnerstaaten an, dass alle behinderten Menschen das gleiche Recht haben, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Die Unterzeichnerstaaten sind verpflichtet, wirksame und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um behinderten Menschen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe in allen Lebensbereichen zu gewährleisten.

Jeder Mensch muss gut behandelt werden.

Jeder Mensch hat Würde. Das bedeutet:

Jeder Mensch ist ein besonderer Mensch.  Und jeder Mensch ist viel wert.

Jeder Mensch hat das Recht so zu sein, wie er ist.

Niemand darf diskriminiert werden.

Das bedeutet:

Niemand darf schlechter behandelt werden, weil er behindert ist.

Jeder Mensch muss gerecht behandelt werden.

Jeder Mensch muss die Hilfe bekommen, die er braucht.

Jeder Mensch soll die gleichen Chancen haben.

Das bedeutet:

Jeder Mensch soll dasselbe schaffen können.

Zum Beispiel: Alle Kinder sollen in eine Schule gehen können.

Auch behinderte Kinder.

Oder: Auch behinderte Menschen sollen eine Arbeit bekommen können.

Sie sollen die Hilfen bekommen, die sie dafür brauchen.

Jeder Mensch darf an der Gesellschaft teilhaben.

Das bedeutet:

Jeder darf dabei sein.

Jeder darf andere Menschen treffen.

Niemand darf ausgeschlossen sein.

Jeder Mensch darf für sich selber entscheiden.

Das bedeutet:

Niemand darf einfach über einen anderen Menschen bestimmen.

Dabei hilft die Vereinbarung.

Die UN-BRK hat  in der Bundesrepublik Deutschland Gesetzeskraft erlangt. Damit müssen die 16 Bundesländer sie umsetzen. Damit aus erweiterten Rechten aber auch wirklich ein selbstbestimmtes Leben mit gleichberechtigter Teilhabe und ohne Diskriminierung wird, müssen Politik und Verwaltung konkrete Maßnahmen ergreifen, die in allen Lebensbereichen wirksam sind.

Nach der Beurteilung (Evaluierung) des Landesaktionsplans_2014 durch das Institut für Menschenrechte im Jahr 2019, hat Anfang 2020 der Prozess der Fortschreibung begonnen. Um allen Handlungsfeldern des künftigen Landesaktionsplans genug Raum zu geben, findet die Entwicklung und Erörterung von Maßnahmenvorschlägen zwischen Oktober 2020 und April 2021 in folgenden Arbeitsgruppen statt:

  1. Mobilität / Bauen, Wohnen und selbstbestimmte Lebensführung
  2. Schutz der Persönlichkeitsrechte / Familie und Partnerschaft
  3. Arbeit und Beschäftigung
  4. Erziehung, Bildung und Wissenschaft
  5. Gesundheit und Pflege
  6. Kultur, Freizeit und Sport
  7. Information und Kommunikation

Zu allen Handlungsfeldern und Querschnittsthemen haben zahlreiche Verbände und Einzelpersonen Maßnahmenvorschläge eingereicht. Diese Vorschläge haben wir auf die Handlungsfelder zugespitzt und fordern die Aufnahme dieser Maßnahmen in den Landesaktionsplan 2021.

Die 26. Bürgerschaft behinderter Menschen fordert den Senat der Freien Hansestadt Bremen und die Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft auf:

Die folgenden Maßnahmen sind in die Handlungsfelder des Landesaktionsplans 2021 aufzunehmen:

  1. Handlungsfeld – Mobilität/Bauen/Wohnen/selbstbestimmte Lebensführung (Artikel 19, 28)

1.1      Behinderte Menschen sollen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, zu entscheiden wie und mit wem sie leben wollen. Insbesondere für Menschen mit geistigen und mehrfachen Beeinträchtigungen sind ambulante Wohnangebote wie Betreutes Wohnen, ambulantes Wohntraining und Quartier-Wohnen, Wohngemeinschaften, aber auch Wohnen in der eigenen Wohnung  zu schaffen. Die  Umwandlung stationärer Wohnangebote in ambulante Wohnangebote in der Größenordnung von jährlich 5 % ist fortzusetzen.

1.2      Das vorhandene AKZENT-Wohnen muss  durch weitere Wohnungen und Servicehäuser ausgebaut werden. Das AKZENT-Wohnen ist ein rollstuhlgerechtes Angebot für erwachsene Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen und einem Bedarf an einer Rund-um-die-Uhr-Unterstützungssicherheit. Die Menschen leben in der eigenen Wohnung, erhalten Pflege- und Teilhabeleistungen und können einen Bereitschaftsdienst abrufen.  AKZENT-Wohnen ist damit eine wichtige Alternative zu Wohnheimen.

1.3      Auch behinderte Menschen benötigen bezahlbaren Wohnraum. Deshalb sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um weitere erhebliche Mietsteigungen zu vermeiden. Das Wohnungsbauprogramm des Bremer Senats ist aufrechtzuerhalten und auszuweiten. Die Sozialbindung soll auf 40 Jahre festgelegt werden. Schätzungen zufolge hat die Hälfte der obdachlosen und wohnungslosen Menschen körperliche oder seelische Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen. Für sie sind im Rahmen der Wohnungsbauprogramme konkrete Wohnungsangebote nach dem Grundsatz „Housing First“ zu schaffen.

1.4      Für die freie Wohnungswahl behinderter Menschen müssen in jedem Stadtteil Wohnungen vorhanden sein, die mit dem Rollstuhl zugänglich und nutzbar sind. Sie sind unabhängig vom konkreten Bedarf in allen Wohnungsgrößen bei Neubau und Umbau herzurichten. Hierbei hat der soziale Wohnungsbau eine besondere Verantwortung. Darum muss bei staatlich geförderten (Sozial-) Wohnungen in Gebäuden mit acht oder mehr Wohnungen mindestens eine Wohnung uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein, in größeren Gebäuden muss darüber hinaus mindestens jede zwölfte Wohnung uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein.

1.5      Nach § 8 Absatz 7 Bremisches Behindertengleichstellungsgesetz sollen alle Planungen im Wohnungsbau und im öffentlichen Verkehrsraum von einem Beauftragten für bauliche Barrierefreiheit auf Barrierefreiheit geprüft werden, damit diese nicht vergessen wird. Diese Stelle gibt es noch nicht und muss darum unverzüglich in der Baubehörde eingerichtet werden.

1.6      Menschen mit jeder Beeinträchtigung sollen selbstbestimmt in ihrem  Quartier inklusiv leben können. Das erfordert die Vielfalt von Unterstützungsdiensten und persönlicher Assistenz mit Bezug zum Wohnort und ausgerichtet an den Bedarfen der Einzelpersonen. Das klappt am besten mit einzelnen „Bausteinen“ (Modulen), die nach Bedarf abgerufen werden können. Diese Module beschreiben die Form der Assistenz und sollen sich auf die Assistenz für die Person selbst, Pflege (Garantie der gleichgeschlechtlichen Pflege), Hauswirtschaft und Teilhabe beziehen. Bei der Teilhabe sind alle Bereiche wie bei nichtbehinderten Menschen einzubeziehen. Darüber hinaus muss künftig die bereits vorhandene Maßnahme „Persönliche Assistenz (ISB)“ in der eigenen Wohnung, die sich bisher auf Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen bezieht, allen behinderten Menschen zur Verfügung stehen.

1.7      Das Persönliche Budget als Leistungsform ist behinderten Menschen seitens der verantwortlichen Behörde einfacher zugänglich zu machen. Die eigenständige Planung und Organisation von Assistenz und Unterstützung muss behinderten Menschen deutlich erleichtert werden. Mit diesem Ziel ist die Landes-Rahmenrichtlinie zu überarbeiten.

1.8      Genau wie nichtbehinderte Menschen benötigen behinderte Menschen in verschiedenen Lebenssituationen Unterstützung, um bestimmte Situationen verstehen zu können und eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Ebenso sollen sich behinderte Menschen in politische, soziale, kulturelle und alle gesellschaftlichen Prozesse und Gremien einbringen können. Das beschreibt das Fremdwort „Partizipation“.

Diese Teilhabe und Wahrnehmung bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte ist aber nur möglich, wenn es für alle Menschen mit Beeinträchtigungen ganz nach einzelnem Bedarf niedrigschwellige Unterstützungsangebote und konkrete Maßnahmen gibt. Nur dann haben behinderte Menschen wirklich gleiche Chancen in diesen Prozessen. Behinderte Menschen und ihre Selbstvertretungsorganisationen benötigen dazu ausreichende finanzielle Mittel, um genug zeitliche, räumliche und personelle Kapazitäten zu haben und um Fähigkeiten/Kompetenzen aufbauen und erhalten zu können. Das erfordert insbesondere Maßnahmen zur strukturellen Absicherung wie Erstattung des Mehraufwands, barrierefreie Räume, Gebärdensprache, Leichte/verständliche Sprache, Sprachdolmetscher, Schriftdolmetscher und andere Kommunikationsformen wie z.B. Lormen für Taubblinde, um die Beteiligung behinderter Menschen bei Verwaltungs- und Regierungshandeln zu ermöglichen. Dafür sieht das Bremische Behindertengleichstellungsgesetz vor, diese Partizipation durch Schaffung und Finanzierung entsprechender Maßnahmen zuverlässig zu unterstützen („Partizipationsfonds“). Die Maßnahmen sollen bei trägerunabhängigen Vereinen angesiedelt sein.

1.9      Personen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, sollten grundsätzlich den Öffentlichen Personennahverkehr nutzen können. Es gibt aber Personen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind und den Öffentlichen Personennahverkehr nicht nutzen können. Dies  aus gesundheitlichen Gründen oder weil der Rollstuhl für die fahrzeuggebundene Hebebühne zu breit oder zu schwer ist. Für diese Personen gibt es den sogenannten Sonderfahrdienst. Aktuell ist die Zahl der möglichen Fahrten begrenzt. Die Zahl der Fahrten ist mit einem pauschalierten Abrechnungs- und Beantragungssystem zu erhöhen und zu flexibilisieren.

1.10    Die bisher wesentlich auf ältere Menschen ausgerichteten Dienstleistungszentren sollen im Rahmen ihrer wohnortnahen Unterstützungsdienste auch für behinderte Menschen tätig werden. Dazu sollen künftig Teile/Module von Assistenz abrufbar sein, wie z.B. Hauswirtschaft, Begleitung, Unterstützung unterhalb rechtlicher Betreuung. Mit diesem Ziel sind die finanziellen Mittel und das Personal der Dienstleistungszentren auszuweiten.  Für Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen können hier Genesungsbegleiter*innen eingesetzt werden.

1.11    Die jährliche Förderung der trägerunabhängigen Vereine, die Beratung und Begegnung für behinderte Menschen anbieten, soll auf eine dauerhafte Förderung umgestellt werden, um den Verbänden der Behindertenselbsthilfe langfristige Planungssicherheit zu geben. Die bisher für jedes Jahr erforderlichen Neuanträge schaffen Unsicherheit und verursachen erheblichen Arbeitsaufwand, der für die tägliche Arbeit verlorengeht. Die Vereine  der offenen Behindertenhilfe werden seit vielen Jahrzehnten gefördert, sind von den jeweiligen Sozialdeputationen als stadtpolitisch bedeutsame Angebote anerkannt. Sie leisten gemeindenahe Beratung und Begegnung mit dem gemeinschaftlichen Einsatz behinderter und nichtbehinderte Menschen.  Eine Gefährdung dieser Arbeit kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten. Darum ist eine vereinfachte Förderung erforderlich.

 

  1. Handlungsfeld: Schutz der Persönlichkeitsrechte/Familie und Partnerschaft (Artikel 6, 12-22, 23)

2.1      Es ist ein Modul /eine Form der ganzheitlichen Leistungserbringung in einer Familie zu schaffen. Damit soll eine Assistenz für behinderte Eltern und für Eltern behinderter Kinder je nach Bedarf durch einen einzigen Leistungserbringer mit einem einheitlichen, alles umfassenden Kostensatz ermöglicht werden.

Bisher wird die Assistenz für die Pflege, Hauswirtschaft, Teilhabe und pädagogische Unterstützung in ein und derselben Familie durch verschiedene Anbieter und mit verschiedenen Kostensätzen erbracht. Das sorgt für Probleme, weil ein Austausch zwischen den Assistenznehmer*innen und den Assistent*innen und/oder Pädagogen wesentlich erschwert ist. Die Assistenz aus einer Hand würde Ruhe und Klarheit in die Familie bringen.

2.2      Die bereits vorhandene Maßnahme „Ambulante sozialpädagogische Unterstützung für geistig und mehrfach beeinträchtigte Kinder, Jugendliche und erwachsene Menschen“ bildet einen weiteren Bestandteil von Assistenz. Die Maßnahme findet in der häuslichen Umgebung statt. Der sprachliche Zugang für Familien mit Migrationshintergrund wird hergestellt bzw. ist herzustellen. Die Maßnahme soll fachlich solide finanziert und ihr Zugang offener gestaltet werden, denn der Zugang zu dieser Maßnahme ist bisher zu schwierig. Es muss für die betroffenen Familien deutlich einfacher werden, an diese ambulante Unterstützung zu gelangen um selbstbestimmtes Leben in der Familie und in Partnerschaften zu stärken und ein stationäres Wohnen zu vermeiden.

2.3      Behinderte Mädchen und Jungen und behinderte Frauen sind um ein Vielfaches mehr von Gewalt betroffen als nichtbehinderte Mädchen und Frauen.  Das Unterstützungssystem für von Gewalt, insbesondere sexualisierter Gewalt, betroffene Mädchen und Frauen muss dauerhaft verbessert werden, z.B. in Form vermehrter therapeutischer Angebote, Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse, Entwicklung von Leitlinien zum Schutz vor Gewalt und fachliche Entwicklung des Personals in Einrichtungen sowie im Sportbereich. Hierzu sind konkrete Konzepte in Einrichtungen und im Sport, Fort- und Weiterbildung der tätigen Personen, des Personals, als auch generelle Leitlinien zum Umgang mit dem Thema Gewalt erforderlich. Die Barrierefreiheit der in Bremen ansässigen Beratungsstellen für diese besondere Unterstützung ist zu verbessern.

2.4      Das Angebot zur Beratung und Unterstützung unterhalb von rechtlicher Betreuung für Personen, die entscheidungsfähig sind, aber Unterstützung und Assistenz benötigen, um ihre persönlichen Alltagsgeschäfte zu organisieren, ist weiterzuentwickeln und auszuweiten als ein weiteres Modul/Mittel persönlicher Assistenz. Weil die Testphase erfolgreich abgeschlossen wurde, muss das Angebot als Teilhabeleistung dauerhaft finanziell abgesichert werden.

Diese Art der Assistenz Betroffener mit psychosozialen Einschränkungen, die nur gelegentlich Unterstützung durch vertraute Menschen benötigen, soll entsprechend eine längerfristige Begleitung durch Genesungsbegleiter*innen finanziert werden. In Großbritannien ist das durch Verordnung des Hausarztes möglich.

 

  1. Handlungsfeld – Arbeit und Beschäftigung (Artikel 27)

3.1      Die Arbeit der Integrationsberater*innen in Bremen und Bremerhaven ist sicherzustellen. Die Anzahl der Stellen ist wesentlich und dauerhaft zu erhöhen. Da die Integrationsberater*innen bei dem Integrationsfachdienst personell angebunden sind, ist dieser durch langfristige Verträge mit dem Land ebenfalls zu sichern. Nur so kann die intensive Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit, die Gewinnung  von Praktikums- und Beschäftigungsverhältnissen und die Mitwirkung bei der Sicherung bestehender Beschäftigungsverhältnisse dauerhaft gewährleistet werden.

Nicht nur aber insbesondere für Menschen mit psychosozialen Einschränkungen werden mehr Arbeitsangebote benötigt, die die Leistungsgrenzen der Betroffenen respektieren. Durch den Einsatz von ausgebildeten Peers und Genesungsbegleiter*innen sollte bei Vermittlung und am Arbeitsplatz mehr Verständnis für Betroffene entstehen.

Um Betroffenen mehr Sicherheit beim Übergang in Erwerbstätigkeit zu geben und sie zu motivieren, muss es ausreichende Freibeträge bei der Anrechnung des Einkommens auf alle Sozialleistungen geben.

3.2      Behinderte Frauen leben häufig an der Armutsgrenze und sind aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung oft Diskriminierung ausgesetzt. Im Arbeitsleben sind sie vielfach von Arbeitslosigkeit betroffen, und im Beruf arbeiten sie häufig in schlecht bezahlten Bereichen, wodurch das Risiko der Altersarmut erhöht wird.

Darum sind konkrete und auf ihren Erfolg überprüfbare Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, die behinderten Frauen ein Beschäftigungsverhältnis eröffnen. Bei allen Arbeitsmarktprogrammen sind behinderte Frauen besonders einzubeziehen.

3.3      Das Budget für Arbeit muss zu einem wirksamen Mittel ausgebaut werden, damit behinderte Menschen bessere Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen. Darum begrüßt das Behindertenparlament die Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien im Land Bremen, wonach das Budget für Arbeit und das Budget für Ausbildung deutlich wirksamer werden soll. Die in der Koalitionsvereinbarung formulierten Maßnahmen sind daher als Maßnahmen in den Landesaktionsplan 2021 aufzunehmen: Inklusionsbetriebe sollen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe gefördert werden. Im bremischen öffentlichen Dienst sollen mindestens 20 Arbeitsplätze auf der Grundlage des Budgets für Arbeit sowie weitere 30 Arbeitsplätze in Inklusionsabteilungen/ Inklusionsbetrieben geschaffen werden.  In der Werkstatt Bremen ist eine Anlaufstelle zu schaffen, die Werkstattbeschäftigte sowie potentielle Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen zum Budget für Arbeit berät und den Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt aktiv begleitet. In einem regelmäßigen Abstand von drei Jahren wird geprüft, ob Außenarbeitsplätze der Werkstatt Bremen in reguläre Arbeitsverhältnisse – gegebenenfalls auf Grundlage des Budgets für Arbeit – umgewandelt werden können.

3.4      Die Werkstatt Bremen gründet und betreibt – ggf. zusammen mit einem Partner aus dem Hotelgewerbe – in Bremen ein Hotel als Inklusionsbetrieb mit mindestens 80 Betten, um Arbeitsplätze für behinderte Menschen in nennenswerter Zahl auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Alle Senatsressorts unterstützen dieses Vorhaben, insbesondere auch die Beschaffung eines geeigneten Grundstücks in zentraler Lage für das Inklusionshotel.

 

  1. Handlungsfeld – Erziehung, Bildung und Wissenschaft (Artikel 24)

4.1   Es sind alle Krippen und Kindertageseinrichtungen so auszustatten und auszubauen, dass dort Kinder mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen aufgenommen und gefördert werden können. In den Kindertageseinrichtungen sind alle Voraussetzungen zu schaffen, dass die Kinder, die besonderen Kommunikationsbedarf an Deutscher Gebärdensprache (DGS), Lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG), Schriftdolmetschung (SD), Gebärden für Menschen mit Autismus haben, gleichberechtigt teilhaben können, mit all ihren verschiedenen Beeinträchtigungen. Dabei ist der Peer-Aspekt (Sprachbildung in der Gruppe) zu berücksichtigen.

4.2      Es ist ein Stufenkonzept zu erarbeiten, wie die verbliebenen Förderschulen in inklusive Schulen umgewandelt werden können. Wobei es unersetzlich ist, dass Regelschulen von zukünftigen Kompetenzzentren (idealerweise von ehemaligen Förderschulen) unterstützt und begleitet werden, im Sinne der erfolgreichen Inklusionsmodelle wie z.B. in Kanada, Finnland, Italien. Die Ausstattung der Schulen ist derart zu verbessern, dass der Unterricht nicht nur kooperativ in einigen Schulstunden, sondern der Gesamtunterricht inklusiv für alle Schülerinnen und Schüler erfolgen kann.

4.3      Die beruflichen Schulen sind ebenso inklusiv zu gestalten und für Menschen mit Behinderungen auch für die Berufsbildungsphase der WfbM, in der „Unterstützten Beschäftigung“ und beim „Budget für Ausbildung“ zu öffnen.

4.4      Ausbildungen in Berufsbildungswerken sind stärker mit der betrieblichen Ausbildung zu verzahnen und in den Unterricht in den Berufsschulen zu organisieren. Die berufliche Weiterbildung soll nicht nur in Berufsförderungswerken, sondern auch in berufsqualifizierenden schulischen Ausbildungsgängen ermöglicht werden.

4.5      Für gehörlose Menschen mit Zuwanderungs- und Fluchthintergrund sind Integrationskurse einzurichten. Für andere Menschen mit Hörschädigung, die lautsprachig orientiert sind, ist die Schriftdolmetschung zu gewährleisten.

4.6      Für Erwachsenenbildungsträger ist die Verpflichtung einzuführen, ihre Angebote grundsätzlich barrierefrei zu gestalten und auf Anforderung auch Kommunikationshilfen bereitzustellen.

 

  1. Handlungsfeld – Gesundheit und Pflege (Artikel 25)

5.1      Personen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, stark seheingeschränkte, blinde und gehörlose Personen benötigen Barrierefreiheit und Orientierungssysteme im Krankenhaus als wichtigem Teil unseres Gesundheitssystems. Wahrnehmbare Orientierungssysteme sowie psychosoziale Betreuung und Begleitung sind für alle Patientinnen und Patienten mit Beeinträchtigungen wichtig. Die erforderliche Assistenz, Betreuung und Begleitung ist sicherzustellen. Alle Informationen zu Erkrankungen und Diagnostik sind den behinderten Patient*innen in der Sprache mitzuteilen, die für sie zum Verständnis erforderlich ist (Leicht, verständlich). Das gilt auch für Apotheken.

Der Stand der Kenntnisse über die spezifischen Bedarfe und unterschiedlichen Anforderungen behinderter Menschen bei Krankenhausaufenthalten und die Haltung des Personals im Umgang mit behinderten Patient*innen ist durch Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter*innen in den Krankenhäusern zu verbessern. Hierfür können gut Genesungsbegleiter*innen als Dozent*innen wirken. Die Krankenhäuser sollen Konzepte erarbeiten, die Belange behinderter Menschen, ihr Recht auf Selbstbestimmung sowie das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung umsetzbar machen.

Für Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen und psychiatrische Kliniken heißt das, dass mehr Genesungsbegleiterinnen und Genesungsbegleiter in den normalen Alltagsbetrieb der Stationen (zwei Stellen pro Station) zu integrieren sind.

5.2      Für Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen sind Alternativen zu entwickeln, damit auch in Krisensituationen Einweisungen in ein psychiatrisches Krankenhaus möglichst vermieden werden.  Ziel muss es sein, eine regional ausgerichtete „Neue Psychiatrie“ aufzubauen, weg von einer „Bettenorientierten Klinikpsychiatrie“, hin zu einem weitestgehend ambulant orientierten „Zentrum für seelische Gesundheit“. Dies ist in enger Zusammenarbeit mit den Selbstvertretungsorganisationen und Verbänden mit Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen zu erarbeiten. In dieser Konzeption ist eine langfristige Lebensumfeld-nahe Behandlung und Begleitung für Menschen mit schweren psychosozialen Gesundheitsproblemen zu erfüllen. Diese Neuorientierung erfordert auch eine abgesicherte Genesungsbegleitung (mehr Genesungsbegleiterinnen/Genesungsbegleiter im Alltag, Genesungstelefon usw.) und Unterstützung in psychischen Krisen, auch die Gewährleistung von Rückzugsräumen.  Vom Arbeitskreis „Neue Psychiatrie im Bremer Westen“ wurde auf Basis dieser Grundsätze bereits ein detailliertes Konzept unter dem Namen PARDON-entwickelt. PARDON steht für Konzept, Psychiatrie Ambulant: Recovery- und Dialog orientierte Netzwerkarbeit. Dieses Konzept soll schrittweise in allen Bremer Regionen umgesetzt werden und in den neuen Landespsychiatrieplan einfließen. Begleitend muss das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) entsprechend den Ergebnissen einer Arbeitsgruppe von 2018 und aktueller Entwicklung angepasst werden.

 

Für einfachere Erreichbarkeit der bestehenden Krisendienste muss eine im Land Bremen zentrale einheitliche Rufnummer eingeführt werden.

Verschiedene laufende Modellprojekte, die der Neuorientierung der Bremer Psychiatrie dienen, müssen verstetigt werden. Darunter auch Stellen für Genesungsbegleiter*innen als Fürsprecher*innen bei allen gegründeten Gemeindepsychiatrischen Verbünden ( GPV).

5.3      Das Medizinische Zentrum für erwachsene behinderte Menschen (MZEB) soll schnellstmöglich eingerichtet und in Betrieb genommen werden. Seitens der Senatorin für Gesundheit ist die Betreibergesellschaft Gesundheit Nord (GeNo) zu einem verbindlichen Projektplan mit verlässlichem Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme des MZEB zu verpflichten. Das MZEB  für Menschen mit schweren körperlichen und /oder geistigen Beeinträchtigen ist als multiprofessionelles Zentrum lange überfällig. Eine zeitnahe Umsetzung ist darum zu gewährleisten.

5.4      Die niedergelassenen Ärztinnen, Ärzte und die Psychotherapeutinnen, Psychotherapeuten sollen nach wie vor durch die entsprechenden Kammern aufgefordert werden, ihre Praxen hinsichtlich der Zugänglichkeit für mobilitätsbeeinträchtigte Menschen für die Darstellung im Stadtführer Barrierefreies Bremen erheben zu lassen, damit behinderte Menschen erkennen können, ob sie in der entsprechenden Praxis Zugang haben und zurechtkommen.

 

  1. Handlungsfeld – Kultur, Freizeit und Sport (Artikel 30)

6.1      Film-Medien sind von großer Bedeutung, als Fernseh-/Kino-Formate und immer mehr als tagesaktuell orientiertes Instrument in sozialen Netzwerken.  Mit der Einrichtung eines Fonds für inklusive Filmförderung und für unabhängige Medien, die inklusiv und teilhabeorientiert arbeiten, soll eine verlässliche finanzielle Basis geschaffen werden. Die Gleichstellung von behinderten Menschen und/oder Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen in der Medienarbeit wird damit unterstützt und (Beschäftigungs-)Sicherheit für die Mitarbeitenden mit und ohne Beeinträchtigungen in diesem Bereich wird verbessert.

6.2      Die Begegnungsstätten für ältere Menschen sind im Stadtgebiet verteilt, so dass ein örtlich guter Zugang besteht. Sie bieten Räumlichkeiten für verschiedene Freizeitaktivitäten, für Gruppentreffen und Veranstaltungen. Damit behinderte Menschen diese wohnortnahen Angebote besser als bisher nutzen können, sollen sie – soweit noch nicht erfolgt – barrierefrei  und rollstuhlgerecht gestaltet werden. Für eine bessere Kommunikation ist auch hier förderlich, Genesungsbegleiterinnen und Genesungsbegleiter stundenweise einzustellen (Fürsprecherinnen).

6.3      Im Sport besteht besonderer Nachholbedarf, um behinderten Menschen die inklusive Teilhabe zu ermöglichen. Um diese Situation zu verbessern soll  die Sportförderung verändert werden, und zwar mit der Einführung eines „Bonus- Malus“- Konzepts. Das bedeutet: Vereine und Institutionen mit Inklusionsangeboten erhalten eine höhere Förderung als diejenigen ohne Inklusionsangebote. Dies soll Anreiz geben, z.B. im baulichen Bereich bei Sportstätten und Bädern und auch bei den Sportangeboten und Sportveranstaltungen, Defizite mit Nachdruck zu beseitigen und so die gleichberechtigte Teilnahme behinderter Menschen an Erholungs- Freizeit- und Sportaktivitäten zu erleichtern.

 

  1. Handlungsfeld – Information und Kommunikation (Artikel 9)

7.1      In der Koordinierungsstelle für die Ortsämter und Beiräte in der Senatskanzlei sind die personellen, finanziellen, technischen und organisatorischen Bedingungen zu schaffen, um die barrierefreie Teilnahme für alle Beeinträchtigungsgruppen an Sitzungen der Beiräte, Ausschusssitzungen, Einwohner- und Bürgerversammlungen sowie alle weiteren öffentlichen Veranstaltungen (Workshops, Zukunftswerkstätten usw..) zu ermöglichen. Unterstützung wie Gebärdendolmetscher*innen, Schriftdolmetscher*innen, technische Hilfsmittel für Spracherkennung, Induktionsanlagen, Unterlagen in leicht verständlicher Sprache usw. sind von den verantwortlichen Stellen in den Ortsämtern und zuständigen Ämtern rechtzeitig in Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle in der Senatskanzlei zu organisieren. In Einladungen und öffentlichen Ankündigungen der genannten Veranstaltungen ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, wo Menschen mit Behinderungen entsprechende Bedarfe anmelden können. Diese zuverlässige Vorhaltung und Organisation solcher Unterstützungsmöglichkeiten soll eine verbesserte politische Teilhabe behinderter Menschen fördern.

7.2      An geeigneten Stellen sind gezielte Instrumentarien zur politischen Bildung für Menschen mit Behinderungen zu entwickeln und barrierefrei zugänglich zu machen, damit Menschen mit Behinderungen einen besseren Zugang zu Prozessen der Bürgerbeteiligung und zur aktiven politischen Mitwirkung erhalten. Beispielsweise könnte eine Kooperation der Volkshochschule bzw. der politischen Bildung mit Behindertenverbänden organisiert werden. Eine entsprechende finanzielle, personelle und organisatorische Ausstattung ist sicherzustellen.

Diese Maßnahmen und alle weiteren eingereichten und hier nicht aufgeführten Vorschläge sind im neuen Landesaktionsplan 2021 mit konkreter Finanzplanung und Zeitplanung aufzunehmen.